Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley stellt in Aachen die Schwerpunkte ihrer Kampagne zur Europawahl vor. Die gebürtige Kölnerin präsentiert sich sehr persönlich und bürgernah.
AACHEN Es galt wieder einmal eine alte Fußballer-Weisheit: Erst hast du kein Glück, dann kommt auch noch Pech hinzu. SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley war gestern in Aachen, um vor der Europawahl die nicht eben berauschenden Umfragewerte ihrer Partei aufzubessern. Doch kaum hatte die Sozialdemokratin die kleine Bühne auf dem Münsterplatz bestiegen, setzte Dauerregen ein. Trotzdem verfolgten rund 200 Parteifreunde und Passanten ihren Auftritt.
Sie erlebten eine Wahlkämpferin, die ihre Rede sehr persönlich und bürgernah gestaltete. Barley stellte sich als „leidenschaftliche Europäerin“ vor. „Meine beiden Kinder haben vier Großelternteile aus vier verschiedenen europäischen Ländern“ erzählte die 50-Jährige, deren Vater Brite und deren Mutter Deutsche ist. Allein schon ihre Biografie sei ein Grund dafür, sich mit aller Kraft dafür einsetzten, dass „Populisten nicht alles klein schlagen, was wir über Jahre in Europa aufgebaut haben“. Bei der anstehenden Wahl falle eine Richtungsentscheidung. Deshalb sei sie die erste Ministerin einer Bundesregierung, die ihr Amt freiwillig aufgebe, um in Brüssel zu arbeiten.
Barley sieht die politische Auseinandersetzung allerdings nicht nur auf den Kampf gegen nationalistische Tendenzen beschränkt. Auch innerhalb des demokratischen Spektrums gebe es deutliche Unterschiede.
Der Brexit „schmerzt in der Seele“
Katarina Barley
SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl
Anders als die Konservativen „wollen wir, dass die Europäische Union auch zu einer sozialen Union wird“, erklärte die SPD-Kandidatin. Der Brexit, „der mir in der Seele schmerzt“, sei nicht zuletzt das Ergebnis eines nicht nur in Großbritannien zu beobachtenden Lohndumpings. Deshalb plädiere ihre Partei für einen europäischen Mindestlohn, der bei 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittslohns liege. Ganze zwei europäische Staaten, nämlich das von einer linken Koalition regierte Portugal und Frankreich „mit seiner streitbaren Arbeitnehmerschaft“, würden derzeit diese Forderung erfüllen. Deutschland hingegen nicht. Die CDU/CSU sowie die FDP würden allerdings weiterhin mit „ollen Kamellen“ dagegen polemisieren. „Die Behauptung, ein Mindestlohn würde Unternehmen in den Ruin treiben, hat sich doch in Deutschland längst als völlig absurd herausgestellt“, erklärte Barley.
Die Sozialdemokratin sprach sich zudem dafür aus, dass Frauen in allen EU-Ländern für den gleichen Job den gleichen Lohn wie Männer erhalten. In Deutschland betrage die Lücke immer noch 21 Prozent. Andere Staaten seien bei diesem Thema schon ein gutes Stück weiter.
Mit den meisten Applaus erhielt gebürtige Kölnerin allerdings für ihre Forderung, endlich für eine stärkere Besteuerung von großen, transnational tätigen Konzernen zu sorgen. „Das gilt nicht nur für Internetunternehmen“, betonte Barley. Bisher sei dies an vier EU-Staaten gescheitert. Da in Steuerfragen in der Staatengemeinschaft das Prinzip der Einstimmigkeit gelte, müsse deshalb eine „Koalition der Willigen“ mit Deutschland und Frankreich an der Spitze voran gehen.
Fehlende Zuspitzung?
Barley hielt eine relativ kurze Rede. Umso ausführlicher beschäftigte sie sich mit Fragen aus dem Publikum. „Schließlich will ich, dass nicht nur Sie mich kennenlernen, sondern ich auch Sie“, bemerkte die 50-Jährige. Zur Sprache kamen Themen wie die Klimapolitik – Barley sprach sich für eine CO2-Steuer aus –, die Flüchtlingspolitik oder grenzüberschreitende Alltagsprobleme.
„Sie macht das richtig gut“, kommentierte Martin Schulz gegenüber unserer Zeitung den Auftritt von Barley. Der ehemalige EU-Parlamentspräsident, der im Wahlkampf rund hundert Auftritte absolvieren will und auch in Aachen gemeinsam mit dem Stolberger Europaabgeordneten Arndt Kohn seine Parteifreundin unterstützte, vermisste in deren Rede jedoch ein wenig die Zuspitzung. „Wir müssen deutlicher machen, dass die SPD die Lokomotive im Kampf gegen rechts ist“, erklärte Schulz. „Dazu gehört, dass die SPD den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber nur dann zum EU-Kommissionspräsidenten wählen würde, wenn er vorher die Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban aus seiner Fraktion geworfen hat.“
Barley hatte bei ihrem Auftritt lediglich kritisiert, dass Unions-Politiker jahrelang Orban hofiert und den von ihm betriebenen Demokratieabbau in Ungarn toleriert hätten. Wenn Weber und seine konservativen Mitstreiter nun kurz vor der Wahl etwas auf Distanz zu Orban gingen, sei das zu wenig und unglaubwürdig..
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