„SPD gemeinsam erneuern!“ – So heißt der Antrag, der von der NRWSPD für den Bundesparteitag am 22. April eingereicht wurde. Hier folgt der Wortlaut.
„Die SPD hat in den vergangenen Wochen intensiv und leidenschaftlich über den Eintritt in eine Große Koalition diskutiert. Diese Debatte war nicht nur notwendig, sie war beispielhaft für eine lebhafte innerparteiliche Demokratie. Und sie hat die SPD zusammengebracht. Auch wenn aus konservativen Kreisen mit teils fragwürdigen Kampagnen der Versuch unternommen wurde, diese Debatte und das Verfahren des Mitgliederentscheids in den Schmutz zu ziehen, können wir selbstbewusst sagen: Die SPD hat gezeigt, dass Parteien der Ort kontroverser Debatten sein können und sachlich ausgetragene Diskussionen unsere Demokratie stärken.
Im Ergebnis hat die Mehrheit der Mitglieder der SPD dem Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU zugestimmt. Dieses Ergebnis gilt es gemeinsam zu respektieren. Die SPD-Mitglieder in der Bundesregierung sowie insbesondere auch die SPD-Bundestagsfraktion werden nun die Aufgabe haben, die von der SPD in den Koalitionsverhandlungen erstrittenen Erfolge in die Realität umzusetzen. Dazu benötigen sie auch den Rückhalt der gesamten Partei.
In den vergangenen Monaten ist jedoch auch klar geworden: Ein „Weiter so“ darf es auch in der Regierungsarbeit nicht geben. Die SPD muss deshalb die im Koalitionsvertrag angelegten Diskussionsprozesse nutzen, um die sozialdemokratische Position öffentlich wahrnehmbar zu machen, sowie in den sich ergebenden Spielräumen ein klares sozialdemokratisches Profil sichtbar machen. Unterscheidbarkeit zwischen den Koalitionsparteien gefährdet nicht den Koalitionsfrieden, sondern sichert den demokratischen Diskurs in unserer Gesellschaft.
Bei aller Kontroverse in der Debatte über das Für und Wider einer Großen Koalition eint uns die Überzeugung, dass sich die SPD dem grundlegenden Erneuerungsprozess stellen muss. Wir haben jetzt die Chance, Erneuerung wirklich zu leben, und Worten Taten folgen zu lassen. Unser gemeinsames Ziel lautet: Die SPD muss programmatisch und organisationspolitisch auf die Höhe der Zeit gebracht werden, um wieder stärkste Partei werden zu können. Dieses Leitbild muss sich klar von national-konservativen und neo-liberalen Strömungen in der Union unterscheiden, damit es wieder Mehrheiten für sozialdemokratisch geführte Regierungen jenseits einer Großen Koalition gibt.
Für den inhaltlichen Erneuerungsprozess bedeutet dies für uns:
Die SPD muss an ihrer Grundhaltung klar erkennbar sein. Wir streben nach einer offenen, liberalen, solidarischen und pro-europäischen Gesellschaft und streiten tagtäglich für ein freies, selbstbestimmtes und sicheres Leben für jeden einzelnen Menschen. Wir sind der Zukunft zugewandt, stehen neuen Entwicklungen offen gegenüber und wollen einen solchen Fortschrittsgedanken mit dem Streben nach mehr Gerechtigkeit verbinden. Haltung zeichnet sich erstens dadurch aus, dass sie nicht aus kurzfristigen taktischen Erwägungen in Frage gestellt wird. Zweitens wird Haltung auch dadurch deutlich, dass wir Fehler der Vergangenheit zugeben und alte Erzählungen wie die des neoliberalen „Dritten Weges“ hinter uns lassen.
Die SPD muss sich – diese grundsätzlichen Ziele vor Augen – ihrer Rolle und ihres Auftrags vergewissern. Sie muss deutlich machen, für wen sie Politik gestalten möchte und somit im besten Sinne wieder parteiisch werden. Dafür müssen wir die politischen Unterschiede zu Konservativen und Marktradikalen, gerade auch in der Europapolitik, herausarbeiten. Volkspartei zu sein bedeutet nicht, es stets allen recht zu machen. Viel zu häufig sind wir in der Vergangenheit dem Fehler aufgesessen, den möglichen gesellschaftlichen Kompromiss zur eigenen Position zu machen – und haben damit die Große Koalition schon in der eigenen Partei „gespielt“. Vielmehr gilt: Es gibt in dieser Gesellschaft Interessengegensätze, die spiegelbildlich auch in unserer Partei aufgegriffen, kontrovers diskutiert und im ein oder anderen Fall auch durch eine Mehrheit entschieden werden müssen. Statt Formelkompromissen, Kommissionen und Klein-Klein brauchen wir mehr kontroverse Debatten, klare Entscheidungen und damit letztlich auch klarere Positionen. Diese schaden uns nicht, sie nützen der Demokratie und auch der SPD, weil sie die gegensätzlichen Politikentwürfe deutlich werden lassen. Wir sind davon überzeugt: Ein klares Profil, eine klare Haltung und konsequentes Handeln für die sozialdemokratischen Ziele graben letztlich auch den Rechtspopulisten das Wasser ab. Dem entschiedenen Kampf gegen einen weiteren Rechtsruck sind wir seit jeher verpflichtet. Auch einem antifeministischen Rollback stellen wir uns entgegen.
Die SPD muss mit einer solchen Grundhaltung und einer klaren Rolle vor Augen die großen Trends und Themen dieser Zeit aufgreifen, um damit eine anspruchsvolle Programmatik zu entwickeln, die weit über das aktuelle Regierungshandeln hinausgeht. Im Kern der Auseinandersetzung muss dabei der noch immer – und mittlerweile wieder stärker – bestehende Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit stehen, der insbesondere durch immer stärker zunehmende Ungleichverteilung des Wohlstands seinen unmittelbaren Ausdruck findet: Während die Konzentration der Vermögen an der Spitze zunimmt, lebt hierzulande jedes fünfte Kind in Armut. Auch und gerade vor diesem Hintergrund sorgen sich viele Menschen vor Entwicklungen wie der Digitalisierung, der Globalisierung, dem demografischen Wandel, dem Klimawandel oder weltweiten Migrationsbewegungen. Wir sind davon überzeugt, dass es sich um gestaltbare Prozesse handelt, wenn wir bereit sind, auch mutige, unkonventionelle und weit über den heutigen Tag hinausgehende Antworten mit einer klaren Richtung zu geben. Wir sind nicht gewillt, tatenlos zuzusehen, wie ein globalisierter Kapitalismus zu mehr Ungleichheit, gravierenden Umweltproblemen, schlechten Arbeitsbedingungen und Abstiegsängsten führt. Im Gegenteil: Wir haben den Optimismus, die Dinge gestalten zu können und praktische Konzepte zu entwerfen, die den Menschen einerseits Zukunftsängste nehmen und andererseits neue Chancen eröffnen.
Wir wollen gute Arbeit auch im Zeitalter der Digitalisierung. Dabei stehen wir eng an der Seite der Gewerkschaften und Betriebsräte, um Arbeitszeit- und Tarifautonomie zu stärken.
Wir wollen Verteilungsgerechtigkeit herstellen. Die Schere zwischen Arm und Reich darf sich nicht weiter öffnen. Deshalb wollen wir Alters- und Erwerbsarmut bekämpfen und unsere sozialen Sicherungssysteme so reformieren, dass sie effektiv vor Armut schützen. Unser Steuersystem muss diesem Anspruch gerecht werden.
Wir wollen einen handlungsfähigen Staat. Dieser gibt den Menschen Sicherheit und sorgt durch öffentliche Daseinsvorsorge auf hohem Niveau für Lebensqualität für alle Menschen und legt die Grundlage für eine gute wirtschaftliche Entwicklung.
Wir erwarten, dass die vom Parteivorstand eingesetzte Arbeitsgruppe Steuern ihre Arbeit zügig aufnimmt und bis zur Mitte der Legislaturperiode einen Maßnahmenkatalog zur Beschlussfassung vorlegt.
Der Bundesparteitag beschließt, das Steuerkonzept im SPD-Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2017 weiterzuentwickeln und dabei insbesondere praktikable Konzepte für eine angemessene Besteuerung von Mega-Vermögen und Mega-Erbschaften zu entwickeln. Außerdem wollen wir die steuerliche Abzugsfähigkeit von Manager-Bezügen als Betriebsausgaben begrenzen.
Die bereits im Koalitionsvertrag vereinbarten Schritte gegen Steuerbetrug, Steuerumgehung und Steuerdumping müssen rasch in wirksame Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene umgesetzt werden.
Die erzielbaren Steuermehreinnahmen bieten die Möglichkeit einer konsequenten Entlastung von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen, besonders von Haushalten mit Kindern, und die Finanzierung der Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Sicherheit und Zusammenhalt.
Ausdrücklich einzubeziehen ist die Auswirkung steuerlicher Maßnahmen auf Bund, Länder und Kommunen und zwischen Ländern und Kommunen. Dazu werden wir auch den möglichen Veränderungsbedarf bei Länder- und Kommunalsteuern durchleuchten.
Dieses zukünftige SPD-Steuerkonzept muss über die im jetzigen Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen hinausgehen. Wir als Partei werden unser neues -über den Regierungsalltag hinausgehendes- Steuerkonzept offensiv und mit klarer Haltung in der Öffentlichkeit vertreten.
Wir sind davon überzeugt, dass eine solche programmatische Erneuerung, die mit einer grundsätzlichen Haltung, einer klaren Rolle vor Augen und die großen Themen dieser Zeit aufgreifend, den Kern von #SPDerneuern ausmacht. Ebenso sind wir davon überzeugt, dass eine solche programmatische Erneuerung nur funktionieren kann, wenn die gesamte Partei in den Prozess einbezogen wird. Unabhängig von der jeweiligen Position zur Großen Koalition, unabhängig, ob Neu- oder langjähriges Mitglied: Die Erneuerung der SPD wird nur gelingen, wenn wir zusammenarbeiten. Die organisatorische Erneuerung ist somit kein abstraktes, in der fernen Zukunft praktiziertes Organisationsmodell, sondern muss ganz praktisch bereits im programmatischen Erneuerungsprozess gelebt und sichtbar werden. Eine solche Einbindung der gesamten Partei muss deshalb zu Beginn des Prozesses verbindlich deutlich werden. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die SPD eine diskussionsfreudige Partei ist, die bei aller Debatte zusammensteht und dadurch stärker wird. Wir wollen diese Energie auch für die programmatische Erneuerung nutzen. Dies kann uns gelingen, indem wir einen partizipationsorientierten Prozess unter anderem mit folgenden Maßnahmen unterstützen, die zum einen bewährte Strukturen wieder neu beleben und zum andern neue Wege der Beteiligung ermöglichen:
Eine verbindliche und transparente Struktur des Erneuerungsprozesses sorgt dafür, dass die Mitgliedschaft Klarheit darüber hat, wie der Prozess ablaufen wird, wo sich jedes einzelne Mitglied einbringen kann und welche konkreten Veränderungen aus im Prozess gefassten Beschlüssen folgen.
Wir wollen die programmatische Debatte in der gesamten Partei führen und dabei insbesondere die fachliche Kompetenz und die politischen Schwerpunkte in den jeweiligen Landesverbänden und Bezirken nutzen.
Mit regelmäßigen Unterbezirksvorsitzendenkonferenzen können wir eine direkte Rückkopplung an die Unterbezirke gewährleisten. Wichtig ist uns hierbei, dass der Kommunikationsfluss in beide Richtungen funktioniert: Wir brauchen sowohl die Impulse der Basis als auch eine größtmögliche Transparenz des Neuaufstellungsprozesses im Bund.
Wir wollen Instrumente und Methoden entwickeln, die eine größere Beteiligung aller Mitglieder ermöglichen.
Mit Parteitagen, auf denen wieder offen und ergebnisorientiert diskutiert wird und mehr Anträge aus der Mitte der Partei entweder auf dem Parteitag beraten oder auf anderem Wege für die Antragssteller transparent weiterbehandelt werden.
Und auch mit der Durchführung von themenorientierten Parteitagen oder Parteikonventen können wir auf der Bundesebene Diskursräume zur kontroversen Debatte von Themen eröffnen.
Mit der flächendeckenden Förderung von Bildungsformaten für die Diskussion vor Ort – etwa durch thematische Pools von Referentinnen und Referenten – können wir unsere Debatte um externe Impulse bereichern und daraus neue Ideen gewinnen.
Auch die Parteischule muss Gegenstand des Erneuerungsprozesses sein sowie diesen aktiv mit begleiten.
Mit geeigneten Online-Formaten können wir eine direkte Beteiligung vieler Mitglieder gewährleisten. Dabei ist für uns auch vorstellbar, dass zu bestimmten Zeitpunkten der Debatte ein Meinungsbild der Parteibasis online eingeholt wird. Hierbei müssen entsprechende Angebote der jeweiligen Unterbezirke auch gewährleisten, dass Mitglieder, die noch nicht online erreichbar sind, sich beteiligen können. Wir wollen die parteiinterne Digitalisierung vorantreiben, aber keine einseitige Ausrichtung auf die Bedürfnisse der digitalen Elite.
Wir wollen Expertinnen und Experten in unserer Mitgliedschaft stärker in den Erneuerungsprozess einbinden und Stimmen jenseits der Fraktionen und Parteigremien stärker hören.
Wir wollen unsere Ortsvereine modernisieren, um sie wieder zu aktivieren, sie zu öffnen und auch für Neumitglieder, Frauen und Jusos attraktiver zu gestalten. Nur wenn wir die Basis unserer Partei ernsthaft in den Erneuerungsprozess einbeziehen, wird es uns gelingen, für die Bürgerinnen und Bürger wieder sichtbarer und wahrnehmbarer zu werden.
Für unsere Erneuerung brauchen wir auch neue Köpfe. Sowohl in der Breite, als auch in der Spitze gilt: jünger, weiblicher, vielfältiger.
Diese Liste ist gewiss nicht abschließend. Sie macht aber deutlich: #SPDerneuern ist kein Selbstläufer. #SPDerneuern kann dann gelingen, wenn wir alle gemeinsam in unserer Partei die großen Zukunftsdebatten führen.
Wir wollen den Menschen Sicherheit im Wandel garantieren. Dazu gehört ein Staat, der über die finanziellen Mittel verfügt, diese Sicherheit gewährleisten zu können.
Wir werden neue Strukturen schaffen, um die Erfahrungen und Kompetenz unserer vielen erfolgreichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auch auf anderen Ebenen der Partei stärker einzubinden.
Wir brauchen kontroverse Debatten über die großen Fragen unserer Zeit.
Wir brauchen transparente und verlässliche Entscheidungen. Und am Ende haben wir ein klares Profil einer linken Volkspartei, die auf der Höhe der Zeit ist.
Wir sind davon überzeugt: Die SPD wird gebraucht. Und die SPD braucht alle ihre Mitglieder, um wieder stärker zu werden. Packen wir es gemeinsam an!“
Hier gibt es den Antrag „SPD gemeinsam erneuern“ als Download (PDF)
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