Schließung der Geburtshilfe könnte abgewendet werden, wenn erneute Gespräche mit Hebammen positiv verlaufen. Sondersitzung verläuft meist ruhig.
Simmerath. Das hat es in der Geschichte des Simmerather Gemeinderates wohl auch noch nicht gegeben: 50 teils hochschwangere junge Frauen und ebenso viele noch ungeborene Zuhörer verfolgten gemeinsam mit fast 100 anderen Interessierten geduldig die 120-minütige Sondersitzung des Gremiums im schlecht belüfteten Ratssaal.
Die kleinen Hauptpersonen in den Babybäuchen sollen in einem der beiden Kreißsäle in der Simmerather Eifelklinik Sankt Brigida das Licht der Welt erblicken, auch wenn ihre Geburt nach dem 30. Juni liegt. Dies ist der ausdrückliche Wunsch aller Beteiligten, die am Mittwochabend in der Ratsrunde, auf dem Podium und im erweiterten Zuschauerraum saßen und standen.
Das große Bürgerinteresse an der kurzfristig von Bürgermeister Karl-Heinz Hermanns einberufenen Sondersitzung hatte man absehen können, nachdem vor allem betroffene Frauen in sozialen Netzwerken und in Flugblättern und Unterschriftenlisten dazu aufgerufen hatten, zur Ratssitzung zu kommen. Hermanns bedankte sich dann auch für das Rieseninteresse, dass „eindrucksvoll dokumentiert, welche Bedeutung die Geburtshilfe hier für die Menschen hat“.
„ Die Zeit läuft uns weg“
Dr. Benjamin Behar
Geschäftsführer Eifelklinik
Gleichwohl ging der Blick im Laufe des Abends kurzzeitig noch einmal zurück auf die Ereignisse der vergangenen Wochen, obschon alle Beteiligten angekündigt hatten, keine „schmutzige Wäsche“ mehr zu waschen. „Sie haben hier viele Jahre hervorragende Arbeit geleistet, aber haben sich damit auch in eine Machtposition versetzt, aus der heraus sie mit ihrer Kündigung eine ganze Abteilung gefährden“, entfuhr es Chefarzt Dr. Andreas Cousin, der sich „für diese emotionale Äußerung“ aber später ausdrücklich entschuldigte. „Wir haben keine Machtposition ausgenutzt, sondern einfach nur die Notbremse gezogen, weil wir einfach nicht mehr konnten“, hatte Hebamme Kathrin Weinert erwidert und ein konkretes Beispiel genannt: „Ich hatte in 72 Stunden sechs Geburten zu begleiten und zwischendurch jeweils eineinhalb Stunden Schlaf. Das war völlig verantwortungslos den Müttern und Kindern gegenüber!“, meinte die junge Geburtshelferin unter lautstarkem Beifall.
Einstimmiger Beschluss
Nach einigem Hin und Her zwischen Geschäftsführer Dr. Benjamin Behar und den Hebammen zu Schichtmodellen und -zeiten, zu Tarifen, Bewerbungsgesprächen, Hierarchien und Kompetenzen erhielten auch die Volksvertreter die Gelegenheit, sich zum Thema zu äußern und Fragen zu stellen. Die Äußerungen der Parteivertreter mündeten allesamt in Bekundungen, jedwede Lösung, die zu einer Fortführung der Geburtshilfe führen könne, mitzutragen. „Wir können hier als Ratsvertreter nicht viel tun. Aber das, was wir tun können, werden wir tun“, fasste CDU-Sprecher Christoph Poschen zusammen und sprach dabei für die Kollegen der anderen Fraktionen.
Diese bat Poschen schließlich auch, einen vorgelegten Beschlussvorschlag, der eher den Charakter einer Resolution hat, mitzutragen. Wörtlich heißt es darin unter anderem: „Der Rat der Gemeinde Simmerath stellt fest, dass die Eifelklinik St. Brigida Simmerath eine unverzichtbare Einrichtung für die Menschen in der hiesigen Eifelregion ist und die Geburtshilfe quasi das Herzstück der Einrichtung darstellt. Der Rat begrüßt die bisher durch den Bürgermeister geführten Gespräche und durchgeführten Bemühungen zum Erhalt der Geburtshilfe in Simmerath.
Er bittet Gesundheitsminister Laumann eindringlich, zumindest für eine Übergangszeit eine Ausnahmegenehmigung von dem Erfordernis, dass Hebammen bei einer Geburt zugezogen werden müssen, zu erteilen. Der Rat der Gemeinde Simmerath fordert die Verantwortlichen der Eifelklinik Simmerath sowie die Hebammen auf, weiterhin alles ihnen Mögliche zu veranlassen, die Geburtshilfe auch über den 30. Juni hinaus aufrecht zu erhalten.“
Den letzten Satz unterstrich auch Geschäftsführer Dr. Behar: „Es liegt nicht in meiner Macht, die Schließung der Geburtshilfe rückgängig zu machen. Aber ich kann entscheiden, mit welchem System wir versuchen, die Dienstpläne ab Juli so zu füllen, dass wir den Antrag bei der Bezirksregierung zurückziehen können. Dazu brauchen wir aber genügend Hebammen, die das System mittragen“, meinte Dr. Behar und betonte: „Auch für mich gibt es nur ein Ziel, nämlich die Geburtsmedizin in Simmerath zu erhalten.“
Treffen mit allen Hebammen
Der Geschäftsführer kündigte den nächsten Schritt gleich für den nächsten Morgen an, nämlich ein Treffen mit allen betroffenen, werdenden Müttern. Dazu berichtete er am Donnerstagnachmittag: „Zu dem heutigen Treffen mit den Schwangeren ist ein Großteil der angemeldeten Mütter erschienen. Wir freuen uns sehr, hier auf eine positive Stimmung und Resonanz gestoßen zu sein. Wir haben sehr offen die geplanten Maßnahmen dargelegt und nochmals erklärt, dass bei einer Ausnahmegenehmigung auch ab dem 1. Juli eine Entbindung in der Eifelklinik stattfinden kann, wenngleich mit rein ärztlicher Unterstützung.
Sollte die Sonderregelung nicht greifen und auch kein lückenloser Dienstplan zustande kommen, dürfen wir tatsächlich keine geplanten Geburten – ob natürlich oder per Kaiserschnitt – mehr durchführen. Notfallmäßig stehen wir dennoch nach wie vor rund um die Uhr zur Verfügung. Was ein Notfall ist und was nicht, wird dabei in der jeweiligen Situation vom gynäkologisch-geburtshilflichen Facharzt entschieden, der prüft, ob es möglich ist, in eine andere Klinik zu fahren, oder nötig ist, direkt vor Ort zu entbinden.“
Zum weiteren Vorgehen kündigten Dr. Behar und Bürgermeister Hermanns an, dass es am kommenden Mittwoch ein Treffen mit allen Hebammen der Region gebe, die von den Bürgermeistern der betroffenen Kommunen (Simmerath, Monschau, Roetgen, Nideggen, Hürtgenwald) angesprochen wurden und sich vorstellen können, am Rufdienstplan mitzuwirken. An diesem Termin wird neben den Bürgermeistern auch Chefarzt Dr. Cousin teilnehmen. „Wenn feststeht, wie sich die tatsächlichen Verfügbarkeiten der potentiellen Hebammen gestalten, werden Klinikleitung und Bürgermeister gemeinsam in Einzelgesprächen versuchen, diese Hebammen für die geburtshilfliche Unterstützung der Region und der Eifelklinik zu gewinnen“, sagte Dr. Behar und kündigte an: „Sollte es außerdem zu der gestern besprochenen Sondergenehmigung seitens des Ministeriums kommen, werden wir zudem alles dafür tun, die rein ärztliche Geburtshilfe sicherzustellen, also konkret die übrigen Mitarbeiter trotz der großen Verunsicherung bei uns zu halten.“
Weite Anreise und Verzicht für drängendes Thema
Die angekündigte Schließung der Geburtshilfe ist ein Thema, dass in der Eifel viele Menschen berührt, weit darüber hinaus aber auch die Politik aufgeweckt hat. So berichtete Simmeraths Bürgermeister Karl-Heinz Hermanns, dass er sehr kurzfristig alle drei Landtagsabgeordneten aus unserer Region für Dienstagabend nach Simmerath eingeladen hatte – „und alle Drei folgten der Einladung!“, freute sich der Bürgermeister. Dass neben Stefan Kämmerling (SPD) – dem einzigen „zuständigen“ MdL für die Nordeifel – auch Dr. Werner Pfeil (FDP/Städteregion Nord) und Dr. Ralf Nolten (CDU/Düren) Dienstagabend flugs in die Eifel kamen, freute Hermanns besonders – und das nicht aus politischen Gründen: Sowohl Dr. Pfeil wie auch Dr. Nolten hatten für Dienstagabend nämlich auch eine persönliche Einladung von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der mit allen Abgeordneten „ein Jahr schwarz-gelbe Regierungskoalition in Düsseldorf“ feierte. Beide gaben jedoch der Eifel den Vorzug.
Eine weite Anreise nahm auch Professor Dr. Dr. Rainer Salfeld für das Treffen in Kauf. Der Konzernchef Deutschland der Artemed-Gruppe reiste eigens aus München an und diskutierte mit fünf Bürgermeistern, Eifeler Städteregionsabgeordneten, Dr. Behar und weiteren Vertretern der Eifelklinik drei Stunden lang zum brennenden Thema Geburtshilfe.