Städteregion schuldet dem Finanzamt wahrscheinlich Millionen. Thema war lange bekannt, wurde aber verschlafen.
AACHEN Die Akte ist nicht besonders dick. Auf der Vorderseite pappt ein kleiner Aufkleber. „Umsatzsteuer“ steht darauf. Auf den ersten Blick nichts Spektakuläres. Aber weit gefehlt: Diese Akte birgt Zündstoff. Sie befasst sich damit, dass die Städteregion und vormals der Kreis Aachen dem Finanzamt einiges an Geld vorenthalten haben. Seit langer Zeit wurde offenbar für Einnahmen keine Körperschafts- und/oder Umsatzsteuer gezahlt, für die diese aber fällig gewesen wären. Schon jetzt steht fest: Das türmt sich zu einer enormen Schuld gegenüber dem Fiskus. Derzeitige Berechnungen gehen im Maximalfall von bis zu acht Millionen Euro aus. Und selbst wenn einige Abzüge angerechnet werden können, bleiben rund vier Millionen Euro. Das könnte auch noch mehr werden, denn das Finanzamt will jetzt bei einer umfassenden Betriebsprüfung ganz genau hinschauen. Und noch nicht eingerechnet ist, dass die Finanzbehörde der Städteregion saftige Strafzinsen für ihre Versäumnisse aufbrummen könnte. Am Ende könnte dieser Fall die Kommunen teuer zu stehen kommen. Möglicherweise müssen sie dieses Millionenloch in der städteregionalen Kasse per Umlage stopfen.
Das brisante Thema ist Städteregionsrat Tim Grüttemeier quasi gleich zu seinem Start vor die Füße gefallen, ist er doch erst seit Anfang Januar im Amt. Der Jurist lässt gleichwohl keinen Zweifel daran, dass er die Angelegenheit lückenlos aufzuklären gedenkt. Das fängt schon damit an, dass die Städteregion beim Finanzamt Selbstanzeige inklusive Vorlage der eigenen Berechnungen erstattet hat. Grüttemeier hat zudem das Rechnungsprüfungsamt mit einer Untersuchung beauftragt. Denn die Geschichte hat durchaus so prekäre Seiten, dass sie auch auf dem Tisch von Strafermittlern landen könnte. „Angesichts der Höhe der Summe halte ich es durchaus für realistisch, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt“, sagt der Städteregionsrat. Der zu untersuchende Vorwurf könnte auf Steuerhinterziehung lauten. Dafür müsste vorsätzlich gehandelt worden sein. Finanzdezernent Gregor Jansen sieht eher eine „Steuerverkürzung“. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, für die man möglicherweise aber immerhin bis zu 50.000 Euro hinblättern muss. Doch was genau ist passiert?
2016 beauftragte man ein Gutachten bei Wirtschaftsprüfern bezüglich des Umgangs mit einer Umsatzsteuerreform, die Anfang 2017 in Kraft trat. Die externen Experten stellten „ganz nebenbei“ fest, dass die Städteregion durchaus gravierende Fehler in Sachen Steuern begangen hatte, und rieten den Verantwortlichen, darum müsse man sich wohl mal kümmern. Die Sache dreht sich um eine komplexe Materie. Kurz zusammengefasst: Für Leistungen, die eine Kommune – aber auch alle anderen „juristischen Personen öffentlichen Rechts“ wie etwa Kammern, Innungen, Sparkassen, Kirchen und viele mehr – gegenüber Dritten gegen Bezahlung erbringt, die aber keine hoheitlichen Aufgaben sind, werden je nach Art und Größenordnung Körperschafts- und/oder Umsatzsteuer fällig. Körperschaftssteuer ist das unternehmerische Pendant zur Einkommenssteuer bei Arbeitnehmern, Umsatzsteuer nennt der Volksmund Mehrwertsteuer. Hoheitliche Aufgaben sind zum Beispiel der Friedhofsbetrieb, Straßenreinigung, Abwasserbeseitigung oder auch die Müllabfuhr für Privathaushalte. Doch es gibt eine ellenlange Liste von Dingen, die besteuert werden müssen, wie man unter anderem in einer Broschüre der Oberfinanzdirektion NRW lesen kann. Kitas beispielsweise gelten als „Betrieb gewerblicher Art“, die Elternbeiträge sind steuerpflichtig. Außerdem gibt es viele Grenzfälle. Ein Steuerdschungel, der schwer zu durchschauen ist. Vermögensverwaltung zum Beispiel ist steuerfrei. Als solche hat die Städteregion die Weitervermietung von Parkplätzen, die sie selber angemietet hat, an Mitarbeiter gesehen. Doch das ist steuerpflichtig. „Man hat die eigene Annahme nie rechtlich überprüft“, so Grüttemeier. Das gilt auch für andere Themen wie Hausdruckerei, Jobtickets oder Jagdpacht.
In der Versenkung
Tim Grüttemeier
Städteregionsrat
Grüttemeier informierte die Fraktionsspitzen über den Fall. Die Politik war bis dato ahnungslos. Vergangene Woche gab der Städteregionsrat die Informationen zudem an die Bürgermeisterkonferenz weiter. Sollte es zu einer Umlage kommen, dürften die (Ober-)Bürgermeister angesichts der eigenen teils mauen Kassenlage wenig amüsiert sein. Grüttemeier kann sich auch vorstellen, dass die Millionen von der „allgemeinen Rücklage“ – grob gesagt eine Umschreibung für Vermögenswerte einer Kommune – abgezwackt werden können. Das geht normalerweise nicht, da müsste die Bezirksregierung mitmachen.
Die Städte und Gemeinden werden vermutlich auch bei sich selbst genau hinschauen, ob sie alles rechtmäßig ver- und besteuert haben. Grüttemeier hält es für wahrscheinlich, dass viele Kommunen landauf, landab betroffen sein könnten. Angesichts des eigenen Steuerschlamassels ein schwacher Trost.
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