Eifeler Zeitung, Carsten Linnhoff und Dorothea Hülsmeier

Stichwahl in Kommunen muss bleiben

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Entscheidung des NRW-Verfassungsgerichts. Für die schwarz-gelbe Landesregierung ist das eine juristische Klatsche.

MÜNSTER Juristisch ging es um die Wahl der Bürgermeister und Landräte in NRW – doch die symbolische Wirkung ist größer: Die schwarz-gelbe Koalition hat mit der Abschaffung der Stichwahl bei den Kommunalwahlen gegen die Verfassung verstoßen. Das hat der Verfassungsgerichtshof am Freitag in Münster festgestellt. Die Opposition jubelt und spricht von einer „schallenden Ohrfeige“ für die Regierung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Doch das Votum der Verfassungsrichter in Münster war denkbar knapp.

In neun Monaten wählen die Bürger in NRW unter anderem ihre Bürgermeister und Landräte neu. Bei der letzten Wahl war es noch so, dass ein Bewerber die absolute Mehrheit der Stimmen brauchte, um ins Amt gewählt zu werden. Gelang das nicht im ersten Wahlgang, gab es eine Stichwahl. Doch die Beteiligung dabei war oft schwach – viele Bürger wollten offensichtlich nicht nach zwei Wochen schon wieder ins Wahllokal gehen. Im April 2019 beschloss die schwarz-gelbe Koalition deshalb die Abschaffung der Stichwahl.

Die Opposition wehrte sich vehement dagegen und argumentierte, wenn die einfache Mehrheit im ersten Wahlgang ausreiche, könnten zunehmend auch radikale Bewerber ins Amt kommen. 83 Abgeordnete von SPD und Grünen brachten den Streit schließlich vor den NRW-Verfassungsgerichtshof. Von dort gab es bei der Urteilsverkündung am Freitag deutliche Worte an die Adresse der schwarz-gelben Regierungskoalition.

Für die Wahl der Bürgermeister und Landräte sei neben der demokratischen Legitimation auch die Höhe des Zustimmungsgrades von Bedeutung, sagte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Ricarda Brandts, in der mündlichen Urteilsbegründung. „Die relative Mehrheit kann im ersten Wahlgang extrem weit weg sein von der absoluten Mehrheit.“

Der Gesetzgeber habe es versäumt, bei der Analyse der vergangenen Wahlen die „bedeutsame zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft zumindest in den Blick zu nehmen“, sagte Brandts. Sie sparte nicht mit Kritik an der Landesregierung und den Regierungsparteien. „Sie haben sich im Vorfeld mehrfach über Hinweise in den Beratungen zu dem neuen Gesetz hinweggesetzt.“

Die klagenden Parteien fühlten sich durch Münster bestätigt. „Die Demokratie hat gewonnen“, sagte SPD-Generalsekretärin Nadja Lüders. Grünen-Fraktionsvize Mehrdad Mostofizadeh sagte, durch die Abschaffung der Stichwahl hätten „allein parteipolitische Interessen vor allem der CDU bedient“ werden sollen. Innenminister Herbert Reul (CDU) sah das anders. Aber das Wichtigste sei, dass es jetzt eine Entscheidung gebe.

Eindeutig war die Entscheidung der Richter übrigens nicht. Erstmals gab es ein sogenanntes Sondervotum – denn nur vier der sieben Richter sahen die Stichwahl als verfassungswidrig an. Die drei anderen – Andreas Heusch, Barbara Dauner-Lieb und Matthias Röhl – übten deutliche Kritik an ihren Richter-Kollegen: Die Senatsmehrheit habe den demokratischen Gehalt von Stichwahlen überhöht und die zumeist sinkende Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang aus dem Blick verloren.

Um die kommunale Stichwahl liefern sich SPD und CDU seit vielen Jahren ein Tauziehen – zur Verwirrung der Wähler. So wurden die Stichwahlen 1994 von der SPD eingeführt; 2007 schaffte sie die CDU unter der Regierung von Jürgen Rüttgers wieder ab. Eine Klage vor dem Verfassungsgericht scheiterte damals. 2011 wurden sie mit der rot-grünen Koalition unter SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wieder eingeführt. Nun scheiterte die schwarz-gelbe Koalition mit der geplanten Abschaffung.

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