Aachener Nachrichten, Andreas Röchter

Was kommt nach der Braunkohle?

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Beim DGB-Neujahrsempfang steht die Frage im Mittelpunkt, wie der Strukturwandel sozial und ökologisch gestaltet werden kann.

Städteregion. „Planungssicherheit“ sowie „stabile und verlässliche Rahmenbedingungen“ waren Schlagworte, die den gewerkschaftlichen Neujahrsempfang des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) prägten. Dieser trug die Überschrift „Strukturwandel gestalten! Ökologische, soziale und ökonomische Herausforderungen in der Region“. Mehr als 200 Gäste waren in das Ausbildungszentrum Weisweiler des Tagebaus Inden gekommen – sicher auch wegen der Podiumsgäste: Oliver Krischer, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, und die beiden Gewerkschafter Martin Peters (IG Metall) und Manuel Rendla (IGBCE) stellten sich den Fragen von Moderator René Benden, Redakteur dieser Zeitung.

In Sachen Strukturwandel drängt die Zeit: Darin sind sich Martin Peters (v.r.) von der IG Metall, der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer von den Grünen und Manuel Rendla von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie einig. Bei der Frage, wie der Strukturwandel angepackt werden muss, offenbaren sich in der von René Benden moderierten Diskussion Unterschiede.

Zur Begrüßung hatte Ralf Woelk, Geschäftsführer der DGB-Region NRW Süd-West, unterstrichen, dass es keine unterschiedliche Gewichtung der Themen Klimaschutz und Beschäftigung geben könne, und sich dem Leitsatz „Keine Arbeit auf einem toten Planeten“ des Internationalen Gewerkschaftsbundes ausdrücklich angeschlossen. Allerdings müsste die Suche nach Antworten auf die Fragen, die die Globalisierung und Digitalisierung mit sich brächten, nicht morgen, sondern heute angegangen werden. Die Chancen, die das Thema Elektromobilität der Region bringe, seien durchaus ein Grund zum Optimismus. In Sachen Energiepolitik sei es aber unbedingt wünschenswert, „dass die vereinbarten Fahr- und Zeitpläne Bestand haben“, schloss der DGBler seine einleitenden Worte ab, um das Zepter an den Moderator zu übergeben.

Dieser bat Oliver Krischer in die „Höhle des Löwen“, schließlich liegen die Grünen und die Gewerkschaften beim Thema Kohle wahrlich nicht auf einer Linie. Und auch beim Neujahrsempfang machte der Bundestagsabgeordnete aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Seit ich denken kann, habe ich eine kritische Haltung zur Braunkohle“, erzählte der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, der aber auch bei vielen Menschen im Rheinischen Kohlerevier einen Meinungswandel wahrgenommen haben will. Auch in der Region stelle kaum noch jemand in Frage, dass das Zeitalter der Braunkohle zu Ende gehe. „Über das Jahr 2045 denkt niemand mehr hinaus!“

Für die Braunkohle gibt es keine langfristige Zukunft. Deshalb muss jetzt alle Kraft in den Strukturwandel gelegt werden. Und eines der Stichworte lautet E-Mobilität.

Oliver Krischer (Grüne),
Bundestagsabgeordneter

Die Frage, wann das letzte Kraftwerk zur Kohleverstromung abgeschaltet werde, sei nicht entscheidend. Vielmehr gehe es darum, die Zeit danach zu gestalten. „In dieser Hinsicht muss es natürlich Planungssicherheit für die Beschäftigten geben. Die Einrichtung eines Strukturwandelfonds und Beschäftigungssicherheit sind unstrittig“, so der Bundespolitiker.
Martin Peters und Manuel Rendla nahmen das auf. Beide betonten, dass während der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD Forderungen der Gewerkschaften auch zum Thema Kohle positiv beschieden worden seien. Eine Meinung, die Oliver Krischer keineswegs teilt: „Statt Entscheidungen zu treffen, soll eine Kommission eingeführt werden. Ich halte dies bei der Dringlichkeit des Problems für verantwortungslos.“

Konkrete Zahlen, wie viele Arbeitsplätze dem Ende der Kohleverstromung zum Opfer fallen werden, wollten die Gewerkschafter nicht nennen. „Ich sträube mich dagegen, weil wir hier über Menschen und deren Einzelschicksale sprechen“, betonte Manuel Rendla. Allerdings hänge an der Kohle ein „langer Rattenschwanz“ an Arbeitsplätzen, von denen der Landesbezirkssekretär der IGBCE Nordrhein „durchaus Hunderttausende“ gefährdet sieht. Martin Peters unterstrich, dass eine industriegebundene Wertschöpfungskette auch nach der Kohle erhalten bleiben müsse.

Die Entwicklung und Umsetzung des Streetscooters ist ein hervorragendes Beispiel für eine Kette, die von den Hochschulen bis zu industriellen Arbeitsplätzen reicht.

Manuel Rendla
Landesbezirkssekretär der IGBCE

Die größten Meinungsverschiedenheiten offenbarten die Diskutierenden bei der Frage nach der Umsetzung des Strukturwandels. „Der Ausstieg aus der Steinkohle wurde in die Länge gezogen. Der Traum von der ewigen Steinkohle hat dem Ruhrgebiet geschadet. Auch für die Braunkohle gibt es keine langfristige Zukunft. Deshalb muss jetzt alle Kraft in den Strukturwandel gelegt werden. Und eines der Stichworte lautet E-Mobilität“, erklärte Oliver Krischer und erntete heftigen Widerspruch. „Die Zeit hat damals im Ruhrgebiet nicht gereicht für einen geplanten und begleiteten Strukturwandel“, erwiderte Manuel Rendla. Der Erhalt von Industriearbeitsplätzen sei für die Region unabdingbar, wobei vor allem die Qualität der Arbeitsplätze im Mittelpunkt stehen müsse. Martin Peters formulierte die Forderung in Richtung aller am Strukturwandel Beteiligten, konkreter zu werden, und fasst sich als Kommunalpolitiker auch an die eigene Nase. „Das angestrebte Industriedrehkreuz Weisweiler ist in der Öffentlichkeit noch kein großer Begriff“, so der Sozialdemokrat, der das Motto „Wandel statt Brüche“ formulierte. „Im Jahre 2030 aus allem auszusteigen, würde Brüche verursachen.“ Stattdessen gelte es, Synergien zu nutzen. „Die Entwicklung und Umsetzung des Streetscooters ist ein hervorragendes Beispiel für eine Kette, die von den Hochschulen bis zu industriellen Arbeitsplätzen reicht“, machte Manuel Rendla deutlich.

Einigkeit herrschte darüber, dass die Zeit für die Entwicklung und Umsetzung von Ideen zur Bewältigung des Strukturwandels dränge. Das Kraftwerk Weisweiler werde noch zwölf Jahre in Betrieb sein. Die Abschaltung erfolge also quasi übermorgen. Deshalb dürfe es auf keinen Fall eine „Kleinstaaterei“ etwa zwischen der Städteregion und dem Kreis Düren geben. Auf bundespolitischer Ebene gelte es, in Berlin überparteilich mit einer Stimme zu sprechen – für die Menschen der Region.

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