Städteregion: Nicht gezahlte Abgaben in Millionenhöhe bereiten Kommunen Sorge. Teils schwere Schäden für die Etats befürchtet.
STÄDTEREGION Städteregionsrat Tim Grüttemeier hat es geahnt. Dass die Städteregion und vormals der Kreis Aachen dem Finanzamt nach jetzigem Stand über die Jahre bis zu acht Millionen Euro an Steuern zu wenig gezahlt haben, dürfte auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen. Bereits am Morgen der Veröffentlichung in unserer Zeitung ist diese Ahnung Gewissheit geworden. „Wir haben eine Prüfung eingeleitet, ob diese Vorgänge strafrechtliche Relevanz haben“, sagt Jost Schützeberg, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Sprich, ob es möglicherweise Anhaltspunkte für Steuerhinterziehung gibt. Grüttemeier hatte den Fall öffentlich gemacht. Ende Februar hatte die Städteregion Selbstanzeige beim Finanzamt erstattet.
Es geht dabei um nicht gezahlte Umsatz- und/oder Körperschaftssteuer auf Einnahmen, die eigentlich steuerpflichtig sind. Grob gesagt sind solche Leistungen an Dritte betroffen, mit denen Kommunen sich wirtschaftlich betätigen. Im vorliegenden Fall beispielsweise an Mitarbeiter vermietete Parkplätze, Dienste der Hausdruckerei, Job-Tickets oder auch Jagdpacht. Für solche Dinge müssen Kommunen „Betriebe gewerblicher Art“ (BgA) bilden. Bereits vor mehr als zwei Jahren hatten Wirtschaftsprüfer die seinerzeit Verantwortlichen darauf hingewiesen, dass in diesem Zusammenhang bei der Städteregion etwas nicht stimmt. Außer Arbeitsaufträgen geschah aber bis Anfang 2019 nichts. Als das einer Mitarbeiterin auffiel, wurde fieberhaft alles zusammengetragen. Mit besagtem Millionenschlamassel als Ergebnis. Das müssen möglicherweise die städteregionalen Kommunen ausbaden. Denn irgendjemand muss die Steuerschuld – wie hoch auch immer – ausgleichen. Der „normale“ Weg wäre eine Umlage. Grüttemeier, seit Januar im Amt, will aber auch versuchen, der Bezirksregierung den unüblichen Weg über die „Allgemeine Rücklage“ schmackhaft zu machen. Der Begriff suggeriert einen Geldtopf, den es jedoch nicht gibt. Es handelt sich um eine Zusammenfassung der Vermögenswerte wie Gebäude oder Straßen, die dann um die entsprechende Summe gemindert würden. Klar also, dass in den ohnehin klammen Städten mit einiger Sorge Richtung Städteregion geblickt wird. Und gleichzeitig gilt es im eigenen Haus zu prüfen, ob nicht auch dort Steuerleichen im Keller liegen. Ein Überblick:
Alsdorf: Bürgermeister Alfred Sonders findet klare Worte: „Es kann nicht sein, dass das auf uns abgewälzt wird. Wir sind ohnehin stranguliert.“ Ständig sei die Umlage an die Städteregion gestiegen: „Die Dinge werden an uns durchgereicht. Das ist nicht mehr verkraftbar.“ Mühsam erarbeite man sich selber neue Einnahmequellen wie etwa durch neue Wohngebiete. Doch das würde dann wieder aufgezehrt. „Es muss jetzt eine andere Lösung gefunden werden“, so der Bürgermeister. Die Überprüfung der steuerlichen Fragen sei in Alsdorf ein ständiger Prozess. Derzeit arbeite man – wie alle Kommunen – auf die Umsetzung der neuen Umsatzsteuerrichtlinien bis zum Jahr 2021 hin. Dann müssen die Städte auf viel mehr Leistungen Umsatzsteuer erheben. Sonders geht davon aus, „dass in Alsdorf alles in Ordnung ist“.
Herzogenrath: In der Rodastadt wünscht man Tim Grüttemeier ebenfalls, er möge „viel Erfolg“ haben bei dem Versuch, die Steuerschuld nicht auf die Städte abwälzen zu müssen. Im schlimmsten Fall, so hat man dort flugs errechnet, müsste Herzogenrath 1,2 Millionen Euro zahlen. „Das würde uns nicht das Genick brechen. Aber es würde uns weh tun“, sagt Bürgermeister Christoph von den Driesch. Man werde deswegen aber keine anderen Projekte schieben. In Sachen Steuer geht er davon aus, „dass wir nach bestem Wissen und Gewissen richtig handeln“. Man werde den aktuellen Fall trotzdem zum Anlass nehmen, alles nochmals zu durchforsten.
Stolberg: Erster Beigeordneter Robert Voigtsberger hält das Nachdenken über Ausgleichszahlungen zum jetzigen Zeitpunkt für reine Spekulation. Man müsse erst einmal abwarten, um welche Summen es am Ende tatsächlich gehe. Bei den Steuern hätten Wirtschaftsprüfer alle relevanten Themen erfasst.
Baesweiler: Das Thema sei bei Tim Grüttemeier in guten Händen, meint Bürgermeister Willi Linkens. Es gelte, die Belastung für die Kommunen möglichst gering zu halten. In Baesweiler habe man – schon bevor das Thema in der Städteregion aufkam – eine externe Fachuntersuchung in Auftrag gegeben. Die Steuerfrage werde damit generell abgeklärt.
Simmerath: Auch die Eifelkommune kann keine zusätzlichen Belastungen im Etat vertragen: „Das würde das Minus verstärken und wäre nicht gerade toll“, betont Bürgermeister Karl-Heinz Hermanns. Das müsse in Ruhe abgeklärt werden, ein Schnellschuss verbiete sich. Das Steuerthema habe Simmerath seit langem auf dem Schirm. Aktuell werde man noch einmal intensiver hinschauen, einen konkreten Handlungsbedarf gebe es aber nicht.
Monschau: Brandaktuell sei dieses Thema schon seit längerem, sagt Franz-Karl Boden. Allgemeiner Vertreter der Bürgermeisterin und Kämmerer. Gerade vor dem Hintergrund der Gesetzesänderungen sei man auf dem Stand der Dinge, Grund für eine verstärkte Prüfung gebe es nicht. Wie man sich finanziell auf eine mögliche Umlagebelastung vorbereiten könnte, sei derzeit schwer zu sagen.
Würselen: Bürgermeister Arno Nelles hofft sehr, dass der Weg über die Allgemeine Rücklage gelingt. Alles andere würde uns „erheblich treffen. Eine solche ungeplante Mehrausgabe wäre fatal“. Bei den Steuern habe es jüngst noch eine problemlose Betriebsprüfung gegeben. Vor Fehlern sei man bei der komplexen Materie nie gefeit, „aber wir sind gut und sauber aufgestellt“.
Eschweiler: „Es muss auf jeden Fall eine andere Lösung als die Umlage geben“, sagt Bürgermeister Rudi Bertram. Für Eschweiler mache das ansonsten grob geschätzt 800.000 Euro aus. Auch er geht davon aus, dass in Eschweiler alles in Ordnung ist. Die Steuerfragen würden regelmäßig durch Externe geprüft. Man werde dennoch noch einmal genauer hinschauen, auch unter Einbeziehung des Rechnungsprüfungsamts.
Aachen: Kämmerin Annekathrin Grehling bleibt mit Blick auf die Gegenfinanzierung der Steuerschuld gelassen. Da die Stadt ohnehin nur für die Aufgaben zahlt, die die Städteregion für sie übernimmt, würde eine solche Umlage Aachen kaum bis gar nicht treffen, glaubt sie. Bei den steuerlichen Themen hinterfrage man sich ständig, etwa mit Fragebögen an die Fachbereiche. „Ich bin guten Mutes, dass bei uns alles stimmt“, so Grehling.
Auch die Politik ist vom Städteregionsrat über das Millionenproblem informiert worden. Martin Peters, Chef der städteregionalen SPD-Fraktion, findet es gut, dass Grüttemeier das Thema offensiv und öffentlich behandelt. Man müsse sich nun fragen, warum in den vergangenen zwei Jahren nicht gehandelt wurde. Die damals Verantwortlichen hätten somit weiteren finanziellen Schaden inkauf genommen. Hier müsse man sich „auch einmal über die Frage der persönlichen Haftbarkeit unterhalten“, meint Peters. Und die Mehrheit aus CDU und Grünen müsse sich die Frage gefallen lassen, „warum sie ihrer Kontrollaufgabe nicht nachgekommen ist“.
Alexander Lenders, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, sieht „deutlich weniger Dramatik als derzeit dargestellt“. Bei jeder Steuerprüfung gebe es Dinge, die auffallen. Man müsse „schauen, wie sie entstanden sind und es dann anders machen“. Dies müsse „in großer Ruhe aufgearbeitet“ werden. Zudem vermöge er nicht einzuschätzen, wo in diesem Fall die Zuständigkeiten gelegen hätten.
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