Der Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine zur Erinnerung an das Schicksal einer jüdischen Familie in Eicherscheid
Eicherscheid. „Auch als Kinder spürten wir innerlich, dass der Judenhass falsch ist“, erzählt Alois Nießen aus Eicherscheid. Der heute 90-Jährige war elf Jahre alt, als in der „Reichspogromnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 vom Nazi-Regime organisierte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich verübt wurden. Damals traf es auch das Haus einer dreiköpfigen jüdischen Familie, die in Eicherscheid lebte.
Fast 80 Jahre später wurde am Mittwoch die Zeit der Judenverfolgung für den Zeitzeugen Alois Nießen und rund 50 weitere Gäste noch einmal gegenwärtig, als gegenüber dem Wohnhaus der jüdischen Familie Kaufmann am Kirchplatz drei Stolpersteine verlegt wurden, die nun als Mahnmal ständig an das Schicksal der damals einzigen jüdischen Familie im Landkreis Monschau überhaupt erinnern sollen.
Auch in Eicherscheid wurde der Kölner Künstler Gunter Demnig aktiv. Seit 20 Jahren verlegt er die Beton-Pflastersteine mit Messingtafeln mit den eingravierten Namen von Naziopfern, die umkamen oder deportiert wurden. Das Projekt ist im April 2017 auf fast 61 000 verlegte Steine in 1100 Orten in Europa gewachsen.
Zeitzeuge erinnert sich
„Keiner traute sich, etwas zu sagen“, erinnert sich Alois Nießen an die Zeit der Judenverfolgung. „Vor dem Haus der Familie Kaufmann marschierte jeden Sonntagmorgen die Partei mit Hitlergruß und Gesang auf“, erinnert er sich.
Dass jetzt für Leo und Helene Kaufmann sowie deren Tochter Edith drei dieser Steine gegenüber dem Hauseingang verlegt wurden, ist einer gemeinsamen Initiative des Eicherscheider Ortskartells, des Arbeitskreises Geschichte und der evangelischen Kirchengemeinde Monschauer Land zu verdanken.
Hanna Zack Miley
Buchautorin
Die Zeit bis zum Eintreffen Demnigs war aber mindestens so spannend wie die Verlegung selbst. Ludwig Siebertz, Geschäftsführer des Ortskartells Eicherscheid und Aktivposten im Arbeitskreis Geschichte, hatte so die Gelegenheit, auf die Idee der Eicherscheider Stolpersteine und das Schicksal der Familie Kaufmann und deren Beziehung zu Eicherscheid noch einmal detailliert einzugehen. Siebertz freute sich, dass es gelungen ist, das Projekt gemeinsam mit der evangelischen Kirche umzusetzen, die sich auch zur Hälfte an den Kosten beteiligt habe. Eingeladen war auch eine Gruppe der Förderschule Eicherscheid, wo das Thema Judenverfolgung aktuell in einem ökumenischen Arbeitskreis zur Sprache kam.
Ortsvorsteher Günter Scheidt bekannte, dass er erst durch die Aktivitäten des Arbeitskreises Gesichte vom Schicksal der Familie Kaufmann, die nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze im Ort verstärkt Verleumdung und Hetze ausgesetzt war, erfahren habe. Um so wichtiger sei es, dass mit den Stolpersteinen, die bewusst im öffentlichen Raum ihren Platz finden sollten, nun ein Zeichen „gegen Gewalt und für Menschenrechte“ gesetzt werde.
Der evangelische Pfarrer Jens-Peter Bentzin, der einen Text aus dem jüdischen Gebetbuch verlas, rief auch die aus einem Jugendgottesdienst im Jahr 2013 entstandene Initiative in Erinnerung, die Verlegung von Stolpersteinen in Eicherscheid anzuregen.
Es sei eine richtige Entscheidung, die Stolpersteine auf einem öffentlichen Platz zu verlegen, betonte Simmeraths Bürgermeister Karl-Heinz Hermanns. So sei das Mahnmal ein öffentliches Bekenntnis, dass man sich erinnern solle und nicht vergessen dürfe.
Bewegende Worte sprach Hanna Zack Miley. Die Buchautorin überlebte die Nazizeit in Deutschland, weil sie an Bord des „Kindertransports“ im Jahre 1939 ins Ausland geschickt wurde. Ihre Eltern blieben zurück und wurden von den Nazis ermordet. Aus ihren Erinnerungen verfasste sie das Buch „Meine Krone in Asche“. Die 77-Jährige sprach von einem „bedeutenden Tag“ für Eicherscheid. Sie sei schon bei vielen Stolperstein-Verlegungen gewesen: „Nirgendwo sonst kommt so viel Wahrheit ans Licht“, hielt sie fest.
Fotos: privat
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